Das Leben vor uns

Ein Roman von Kristina Gorcheva-Newberry

„Mir fiel ein, dass Milka einmal gesagt hatte, einen alten Menschen zu berühren, mit seinen verdrehten, knotigen Gliedern und seiner Haut, wie trockene, schuppige Rinde, sei, als berühre man einen alten Baum. Sie hatte aber auch noch gesagt, meine Großmutter zu umarmen sei, als umarme man einen alten, geliebten Roman, desen geheimnisse und Weisheit man auf jeder Seite einatmet.“

Milka ist seit der ersten Klasse Anjas Freundin. Ihr Vater starb, als sie ganz klein war und nun lebt sie in einer kleinen Wohnung mit ihrer Mutter und deren neuen Mann am Stadtrand Moskaus in den 80er Jahren. Anja besucht sie selten, meistens kommt Milka zum Spielen zu ihr nach Hause. Auch auf die Datscha mit dem Apfelgarten, die Anjas Eltern auf dem Land besitzen, begleitet Milka sie oft. Sie sind allerbeste Freundinnen, teilen rare Lebensmittel, und später Bücher und Platten und noch so viel mehr, wie auch die Erfahrung in einem zerfallenden Staat zu leben und was das für die Menschen bedeutet. Nach dem Lesen des Klappentexts, ist klar dass im Leben der beiden etwas einschneidendes passieren wird und ich mochte sie doch so gern, dass ich mich schon fast fürchtete die Seiten umzublättern. Aber ach, man kommt nicht drumherum und irgendwann hatte ich das Buch beendet, ein paar Tränchen weg geblinzelt und freue mich, dass all das noch lange nachhallt. Kristina Gorcheva-Newberry erzählt das Aufwachsen der Mädchen breit, detailreich und wunderbar eingebettet in die Geschichte der Sowjetunion, die natürlich keineswegs besonders wunderbar war. Ein Leben zwischen verbliebenem Hoffen auf das Gute des Kommunismus und den diversen Neuerungen, die bei weitem nicht immer Verbesserung bedeuten. Anjas Eltern hängen zwischen diesen Zeiten, wobei die Mädchen freudig und aufgeregt Musik aus dem Westen hören und sich wünschen nach Paris zu fahren und lieber nie Kinder zu bekommen. Als Anja im zweiten Teil aus den USA zurückkommt, wohin sie zum Studium ging und dann blieb, muss sie sich einigen Sachverhalten aus einer anderen, neuen Perspektive stellen. Und ja, die verschiedenen Blickwinkel werden so deutlich in diesem Buch und manches ist schwer auszuhalten.
Aber es ist grandios geschrieben. Es ist ein wahrhaft großer Roman, tief und bewegend! Auch sprachlich fand ich es sehr erfreulich; es wurde von Claudia Wenner übersetzt und steckt voller Bilder und Vergleiche, die mich oft innehalten ließen, sodass ich es auf jeden Fall aufs Wärmste empfehle!

(Katja Cebulla)

Informationen:
  • Stand: August 2022
  • C.H. Beck Verlag – gebunden – 359 Seiten
  • Preis: 25,- €
  • ISBN: 978-3-406-79131-4
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand