Das Lied des Propheten

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie ich zuerst auf Paul Lynchs „Das Lied des Propheten“ gestoßen bin – vermutlich ganz einfach durch die Longlist des Booker Prize, die ich mir als eine der wenigen immer wieder gerne, weil für mich hohe Trefferquote, angucke.

Ich wusste nur ungenau, was mich erwartet: Düster sollte es wohl sein, großartig, aber beklemmend, ein Irland in einer Zukunft, die auf fürchterliche Weise greifbar ist, dem Willen einer Art Übergangsregierung unterworfen, die aufgrund einer nicht näher definierten Ausnahmesituation gewisse Gesetze außer Kraft setzen konnte.
Und beklemmend ist diese Geschichte tatsächlich, packend, bedrückend, man bangt und hofft und erlebt hautnah mit, wie Eilish, Protagonistin des Romans, versucht, ihre Familie zusammenzuhalten, nachdem ihr Ehemann eines Abends abgeholt wird und nicht wieder zurückkehrt. Gehen oder bleiben und wie umgehen mit dieser Situation, die so vollkommen unalltäglich ist, sich aber doch nur wie ein dunkler Filter über die Konstanten des Alltags legt?
Denn die vier Kinder sind immer noch da, Grundbedürfnisse sind immer noch da, Eilishs Vater, der alleine in einem für ihn nicht mehr zu bewältigenden Haus lebt und dessen Alter sich zunehmend bemerkbar macht, ist immer noch da.

Ganz ohne Frage ist dieses Buch keine leichte Lektüre, die Undurchdringlichkeit der Mauern, die immer näher zu rücken scheinen und die Möglichkeiten und das Leben der Figuren weiter und weiter einschränken, sind auf jeder Seite beinahe körperlich spürbar und spiegeln sich selbst im Satz des Textes wider. Seite für Seite empfindet man ein albtraumhaftes Unverständnis für die Realität dieser Umstände und weiß doch, dass es kein erlösendes Erwachen geben wird.
Doch gerade das macht dieses Buch so besonders und empfehlenswert – es wirkt auf jeden Fall lange nach.

(Sarah Kranz)

Informationen:

• Stand Juli 2024
• Klett-Cotta Verlag – gebunden – 320 Seiten
• übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld
• Preis: 26,- €
• ISBN: 978-3-608-98822-2