Die Tochter

Ein Roman von Kim Hye-Jin

„Die Tochter“ von Kim Hye-Jin wurde von Ki-Hyang Lee aus dem Koreanischen übersetzt und handelt von einer Frau um die sechzig, die in einem Pflegeheim arbeitet und sich dort rührend um eine alte alleinstehende Dame kümmert, und von ihrer Tochter, die wegen finanzieller Probleme nun mit ihrer Lebensgefährtin bei ihrer Mutter einzieht.

Obwohl die (im Buch namenlose) Mutter gegenüber der alten Dame, die sie pflegt, unglaublich empathisch denkt und handelt, scheint es ihr nicht möglich zu sein, die Homosexualität ihrer Tochter zu akzeptieren. Sie wünscht sich ein „normales“ Leben für ihre Tochter, einen Ehemann natürlich, eine Familie überhaupt und am besten auch eine vernünftige Stelle. Nun ist es aber so, dass die Tochter als Lehrbeauftragte an der Uni recht wenig verdient und aufgrund immer wieder nur befristeter Verträge kaum Sicherheit hat und sich nun auch noch gegen die ungerechte Entlassung Homosexueller einsetzt, was sie mehrfach in Gefahr bringt.

Lange Zeit versucht die Mutter die „Hinweise“ auf die „Andersartigkeit“ ihrer Tochter zu ignorieren, aber als diese mit ihrer Freundin bei ihr einzieht, da die beiden ihre Wohnung nicht mehr halten können, kann sie den Tatsachen eigentlich nicht mehr ausweichen. Denkt man so. Aber so einfach scheint es nicht zu sein. Sie quält sich und sucht „die Schuld“ bei sich. Nun ist das etwas, das ich als Mutter sehr gut nachvollziehen konnte. Natürlich nicht die abwertenden Gedanken zur Homosexualität der Tochter, aber eben die Zweifel, ob man alles gut gemacht hat, ob man hier oder da nicht vielleicht dies oder das hätte anders machen sollen. Oder, oder. Grübeleien, die in den meisten Fällen zu nichts führen, das Leben aber nicht leichter machen. Sehr spannend, sich teilweise in den Gedanken einer Figur wiederzufinden, die in vielen Momenten des Buchs ziemlich ätzend denkt und handelt. Ich mochte diese Ambivalenz der Personen sehr, denn auch die Tochter verhält sich zwiespältig im Verlauf des Buchs, das mit 170 Seiten ja eher schmal ist, das ich aber keineswegs in ein paar Stündchen weggelesen habe, da so viel darin steckt. Von prekären Arbeitssituationen (trotz guter Ausbildung) über die Akzeptanz Homosexueller bis hin zum miserablen Pflegesystem und allem, was damit zusammenhängt, ist das ein Buch, das nachhallt und nachdenken lässt. Es bewegt sich sehr viel auf diesen wenigen Seiten, das hat mir richtig gut gefallen und ich bin gespannt auf weitere Übersetzungen von Kim Hye-Jins Büchern.

Ach und das Coverbild von Lori Metha ist wirklich wunderschön!

(Katja Cebulla)

Leseprobe

Informationen:
  • Stand: Januar 2022
  • Hanser Verlag – gebunden – 176 Seiten
  • aus dem Koreanischen übersetzt von Ki-Hyang Lee
  • Preis: 20 €
  • ISBN: 978-3-446-27232-3
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand