Die weite Wildnis
Lauren Groff wurde 1978 geboren und lebt in Gainesville, Florida. Ihr Roman „Licht und Zorn“ ist einer der größten Erfolge der amerikanischen Literatur der vergangenen Jahre. Er stand ebenso wie „Matrix“ (ein Roman über eine Ordensschwester, den ich auch super fand) und ihre Erzählungen auf der Shortlist des National Book Award.
„Die Welt, das wusste das Mädchen, war noch schlimmer als wild, die Welt war gleichgültig.
Es kümmerte sie nicht, was mit ihr geschah, es konnte sie nicht kümmern, nicht im Geringsten.
Sie war ein Sandkorn, ein Sprenkel, ein Flugstaub im Spiel des Windes.“
Ich weiß nicht genau, wem ich „Die weite Wildnis“ empfehlen würde (ausser Ihnen natürlich), denn es ist hart und schonungslos und manchmal ziemlich schwer auszuhalten. Aber das ist nun mal die Lebensrealität der jungen Frau, die sich selbst Mädchen nennt, die die spektakuläre Hauptrolle in diesem Buch, das im 17. Jahrhundert angesiedelt ist, spielt.
Nachdem ihre mittellose alleinstehende Mutter nach ihrer Geburt verstarb, wuchs sie in einem Waisenhaus auf und gelangt schließlich als Dienstmagd und Kindermädchen in eine recht angesehene Familie. Leider fällt der Ehemann ihrer Herrin den Pocken zum Opfer und sie verheiratet sich neuerlich und zwar mit einem unangenehmen machtgierigen Pastor, dem es stets darum geht, sein Vermögen und seinen Einfluß zu mehren. Daher erscheinen ihm die Gebiete der Neuen Welt höchst verheissungsvoll und der ganze Hausstand verlässt die britische Heimat in Richtung erhofftem neuem Reichtum.
Diese Hintergründe und auch die katastrophale Schiffsreise werden nach und nach rückblickend eingefügt, um die ganze Situation zu erklären. Denn der Roman startet mit der abenteuerlichen Flucht des Mädchens aus dem Fort, wo Hunger, Krankheit und Verrohung toben.
Sie ist stark und mutig und versucht nach allem, was ihr widerfahren, ist einen Ausweg zu finden. Sie nächtigt in Höhlenritzen, trifft auf verwilderte Einsiedler, allerlei bedrohliche Tiere und wird von der kalten Jahreszeit gebeutelt. Auch ihr Weg an der Küste entlang Richtung Norden ist beschwerlich und durch große Flüsse schwierig zu verfolgen.
Warum ihr nur die Flucht bleibt, erfährt man erst ganz am Ende und huh also, ich muss zugeben, das ist nichts für schwache Nerven.
Warum ich Ihnen dieses Buch dennoch unbedingt ans Herz legen möchte, ist der Stil, die unglaubliche Sprache, die sehr gekonnt an die Zeit angepasst ist und absolut meisterlich von Stefanie Jacobs aus dem Englischen übersetzt wurde. Und was ich auch so besonders fand, war die Intensität. Ich war sofort im Text. Wie oft hat man das, dass man sich gedanklich abschweifen fühlt oder nicht richtig reinkommt. Aber hier war das wirklich das Gegenteil. Ich war von der ersten Zeile an mittendrin und dabei auf dieser Flucht durch die Weiten Nordamerikas und die Gedankenwelten der jungen Frau.
Durchgefroren, ausgehungert, bedroht und verängstigt beginnt sie, das ihr beigebrachte europäische Weltbild infrage zu stellen. Es wird ihr klar, dass niemand in dieser Welt Europäer braucht, die ihnen ihren Gott und ihre Begrifflichkeiten aufzwingen. Sie lernt, die Natur zu lesen und ohne ewiges Besitzergreifen neu zu verstehen.
Ich war fassungslos und tief berührt, wie es ihr gelingt, trotz all ihrer Anstrengungen noch einen nahezu poetischen Blick für die grandiose Landschaft zu finden und in solche Worte zu fassen – sprachlich wirklich ein Genuss und dann noch absolut mitreissend und clever erzählt. Sehr besonders.
(Katja Cebulla)
Informationen:
- Stand: Dezember 2023
- Classen Verlag – gebunden – 288 Seiten
- Preis: 25,- €
- ISBN: 978-3-546-10035-9
- übersetzt aus dem Englischen von Stefanie Jacobs