Hier sind Löwen

Ein Roman von Katerina Poladjan

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Katerina Poladjan wurde 1971 in Moskau geboren und lebt seit 1979 in Deutschland. Auf ihr Prosadebüt »In einer Nacht, woanders« folgte »Vielleicht Marseille« und gemeinsam mit Henning Fritsch schrieb sie den literarischen Reisebericht »Hinter Sibirien«.

Im Juni 2019 erschien dann ihr dritter Roman »Hier sind Löwen« beim S. Fischer Verlag.

„Hrant wimmerte, er wolle nach Hause, und Anahid sagte, es gibt aber kein Zuhause mehr, und sie sagte das sehr streng, denn sie wollte nicht über ihr Zuhause nachdenken, denn dort in der Küche gab es den roten Fleck, das war das Blut der Mutter, also gab es kein Zuhause, und so liefen sie einfach los.“

Diese beiden Kinder Hrant und Anahid fliehen 1915 vor dem Völkermord an der Armeniern aus ihrem Dorf, in die Berge. Sie haben nichts mehr, außer sich selbst und „das alte Buch“, das ihre Mutter Ihnen noch eben in die Hand gedrückt hatte. Bei diesem „alten Buch“ handelt es sich um ein 300 Jahre altes Heilevangeliar, eine Art Hausbibel, die den Familien damals alles bedeutete und nun, 100 Jahre später von Helen Mazavian, einer Buchrestauratorin, die für drei Monate aus Deutschland nach Jerewan kommt, um dort zu arbeiten und die armenische Bindetechnik zu erlernen, sorgsam wiederhergestellt wird.

Helen hat selbst armenische Wurzeln und ihre Mutter hatte ihr ein altes Familienfoto auf ihre Reise mitgegeben.Vielleicht hätte sie ja Zeit, nach diesen Verwandten Ausschau zu halten.

„Dikranian, Abovyan, Petrosian, Mazavian. Mein Nachname war plötzlich in phonetischer Gesellschaft. Bisher hatte ich ihn getragen wie ein unpassendes Kleidungsstück, wie ei-nen verbeulten Hut, den ich auch zum Essen nicht abnahm.“

Doch als Helen beginnt, nach den Verwandten auf dem Foto zu suchen, gibt sich ihre Mutter seltsamerweise völlig desinteressiert.  Aber es finden sich Spuren, auch was die beiden Kinder betrifft. Die Randnotizen in der Bibel verbinden sich mit den erzählten Einschüben. Und das ist für mich das Faszinierende an diesem Buch. Es fesselt mich auf all seinen verschiedenen Ebenen. Es öffnet eine kleine Luke in eine vergangene Welt, in ein wenig bekanntes Land und ich möchte sofort viel mehr wissen. Armenien, was wusste ich schon über Armenien? Wobei auch Helens persönliches Handeln und Erleben mich mehrmals auf den Punkt genau trifft. Aber richtig. Sie beginnt eine Affäre mit dem Sohn ihrer Chefin und reist in die Türkei, um den Berg Ararat von der anderen Seite zu sehen und alte Dörfer samt Bewohnern zu besuchen. Sie ist ziemlich mutig und sehr neugierig. Und ich finde das alles beeindruckend und es wird dann noch wundervoll von den Einblicken in Helens sorgfältige Arbeit des Restaurierens untermalt. Bestimmte Techniken und Materialien, alte Handschriften und was alles dahinter steckt. Das habe ich sehr sehr gern gelesen und ich war begeistert, dass das Buch zumindest auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis aufgetaucht war.

(Katja Cebulla)

Informationen:
  • Stand: August 2019
  • Fischer Verlag – gebunden – 288 Seiten
  • ISBN:978-3-10-397381-5
  • Preis: 22,00
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