Oben Erde, unten Himmel
Sie kennen Flasar vielleicht von „Ich nannte ihn Krawatte“ – ich tue es nicht. Das macht aber gar nichts, denn auch mit „Oben Erde, unten Himmel“ kann man einen wunderbaren Eindruck davon gewinnen, wie einfühlsam und doch mit einer feinen Prise Humor Milena Michiko Flašar über uns Menschen schreibt. In „Oben Erde, unten Himmel“ folgen wir dem Weg einer jungen Frau in einer japanischen Stadt. Sie lebt in einer kleinen Wohnung und ihr engster sozialer Kontakt ist ihr Hamster, der allerdings gerade auch nicht so gut auf sie zu sprechen ist. Eigentlich verläuft ihr Leben ganz in Ordnung; sie selbst sagt, sie könne gut ohne das ganze soziale Brimborium, und ihr Job in einem Cafe wirft immerhin genug ab, um ihre Miete zu bezahlen. Ihre Eltern akzeptieren ihren Lebensweg weitesgehend, es wäre vielleicht schön gewesen, wenn sie das Studium nicht abgebrochen hätte. Es ist also alles okay. Bis ihr gekündigt wird. Denn, so ihr Chef, sie arbeite zwar effizient, aber ihr fehle das soziale Plus. Dass er dann in einem Anflug von Großmut darauf hinweist, dass sie allerdings sehr gut wische, verbessert die Situation wenig für sie.
Was macht unsere Protagonistin? Sie bewirbt sich. Überall. Und wird tatsächlich zu einem Bewerbungsgespräch bei einer Reinigungsfirma eingeladen. Es stellt sich nur heraus, dass sie die Jobbeschreibung möglicherweise nicht ganz gründlich gelesen hat – denn es handelt sich um eine Firma, die sich speziell mit der Reinigung von Wohnungen beschäftigt, deren Bewohner*innen verstorben sind und über längere Zeit nicht gefunden wurden. Ich verrate das an dieser Stelle nur, falls Sie sehr sehr sehr zart besaitet sind. Ich finde alles mögliche schnell sehr eklig und kann Ihnen versichern, es ist nur einmal ein bisschen eklig, ansonsten wird nicht ins Detail gegangen. Was allerdings sehr detailliert vermittelt wird, und das macht dieses Buch so schön, ist, wie wertvoll ein soziales Netz ist und wie wichtig es ist, sich um andere zu kümmern – und sei es nur, noch drei Worte mit den Nachbarn zu wechseln, wenn man nach Hause kommt. Es geht um Wege aus der Einsamkeit und um Verständnis und Respekt – den Lebenden genauso wie den Toten gegenüber. Neben der Protagonistin wachsen einem noch diverse andere Figuren im Verlauf der Geschichte zunehmend ans Herz – wer also eine herzerwärmende Geschichte sucht, die einen mit ihren zum Teil an der Gesellschaft etwas angestoßenen Figuren in eine Welt entführt, die einerseits fremd, aber andererseits sehr vertraut ist, möge zu „Oben Erde, unten Himmel“ greifen.
(Sarah Kranz)
Informationen:
- Stand: April 2023
- Wagenbach Verlag – 304 Seiten – gebunden
- Preis: 26,- €
- ISBN: 978-3-8031-3353-3