Stumme Zeit

Ein Roman von Silke von Bremen

Die Heimatforscherin, Gästeführerin und nun auch Schriftstellerin, Silke von Bremen hat mit „Stumme Zeit“ einen ganz feinen Sylt-Roman geschrieben, ohne dass dieser ein Sylt-Roman ist. Denn erstens wird der Name „Sylt“ niemals erwähnt und zweitens hatte auch ich als Nicht-Sylt-Kenner eine große Freude an der Geschichte.

„Es gibt mehrere Erzählebenen mit ihren Personen, wie den verrückten Hauke, der das Glück beim Schopfe packt, als die goldenen Zeiten des Tourismus beginnen, aber das Hauptthema ist Verlust und Traumata. Auch wenn der Zweite Weltkrieg lange zurückliegt, spüren wir heute noch die Auswirkungen. Meine Protagonisten sind noch etwas dichter dran an dieser Zeit, sie leben in einer scheinbaren Idylle, aber irgend­etwas stimmt nicht. Aber dann passiert etwas und sie fangen an zu fragen. Dabei stoßen sie auf seltsame Dinge und Zusammenhänge und dann beginnt sich ihr Leben zu verändern.“

(Silke von Bremen)

Schauplatz der Geschichte ist das Kapitänsdorf Keitum (manch einer wird die St. Severin-Kirche auf dem Buchcover erkannt haben) und die Hauptfigur ist eine junge Frau namens Helma. Es sind die 1970er Jahre auf der Insel und Helma führt mittlerweile ein beschauliches Leben. Ihre Kindheit dagegen war nicht leicht. Die Mutter direkt nach ihrer Geburt verstorben, der Vater, Sönnich Petersen kam als anderer Mensch aus dem Krieg nach Hause:

„Sönnich Petersen war ein Gewitter auf zwei Beinen, das sich in einer gewaltigen Explosion entlud. Und dann zusammenbrach. Ihr Vater lag plötzlich am Boden und rang nach Luft.“

Silke von Bremen, Stumme Zeit, Seite 16

Nach dem Tode ihres Vaters, der einen theaterreifen Abgang hinlegt (der Tobsuchtsanfall nach dem Kniefall Willy Brandts in Warschau, welchen Sönnich im Fernsehen verfolgt und sein anschließender Selbstmord sind wahrlich starke Szenen im Buch), ist jedoch keiner im Ort traurig. Auch seine Tochter nicht, war Sönnich doch ein cholerischer, verbitterter und fremdenfeindlicher Altnazi. Helma vermietet nun einen Teil ihres Hauses an Gäste und Touristen. Dadurch verdient sich Helma immerhin ein schönes, finanzielles Zubrot. Außerdem sind da ja auch noch Alwine Martin, ein Flüchtling auf der Insel und spätere Ersatz-Oma und Helmas Jugendfreund Rudi. Und mit eben diesem Rudi verbindet sie das Schicksal, ohne Mutter aufgewachsen zu sein. Rudis Mutter wurde im Krieg von der Polizei abgeholt, da sie psychisch stark erkrankte und niemand ihr helfen konnte oder wollte.

Genau da kommt der Buchtitel zum Tragen: Über die Schicksale beider Mütter wurden in den jeweiligen Familien niemals geredet. Nun aber, knapp dreißig Jahre später tauchen Schriftstücke auf, die zum Handeln zwingen und alte Wunden aufreißen. Aus stummen werden turbulente Zeiten, doch Helma, Rudi und all die anderen, wundervollen Figuren im Roman stellen sich diesen Zeiten und können anschließend ein besseres Leben führen.

Zweiter Handlungsstrang ist die Geschichte der Insel. Silke von Bremen hat die Erzählung bewusst in die 70er Jahre verlegt, in eine Zeit, als der Tourismus anfing, zu boomen und die Saat für die Zukunft gelegt wurde. „Das, was damals geschah, ist der Grund dafür, wie Sylt heute funktioniert“ (Zitat Silke von Bremen). All dies verwebt die Autorin ganz wundervoll miteinander, so dass man die Geschichte von Helma gebannt folgt.

(Georg Schmitt)

Informationen:
  • Stand: April 2024
  • Dörlemann Verlag – gebunden – 400 Seiten
  • Preis: 25,- €
  • ISBN: 978-3-03820-137-3
  • Leseprobe: LINK
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