Treue

Ein Roman von Hernan Diaz

Es gibt Bücher, die brauchen wir gar nicht groß bewerben, weil sie ohnehin in der Presse umfassend besprochen wurden. Manchmal machen wir auch erst Werbung, keiner will sie, dann bespricht die Presse sie, alle wollen sie. Das ist immer ein bisschen schade, aber am Ende freuen wir uns natürlich trotzdem.
Bei einem Buch, das wir gut fanden, die Presse gut fand und für das der Autor sogar mit dem Pulitzer Prize 2023 ausgezeichnet und für den Booker Prize 2022 nominiert wurde, könnte man ja meinen, dass Sie „Treue“ von Hernan Diaz längst in Ihren Händen halten. Angesichts unserer Verkaufszahlen kann das aber kaum sein. Das ist sehr schade, ich schlage vor, Sie ändern das.

Manhattan in den 1920ern. Eine Atemlosigkeit liegt über der Stadt, alles ist in Bewegung, nur eines scheint beständig zu sein: Das stetige Wachstum des Finanzimperiums des geheimnisvollen Benjamin Rasks. Oder war es Andrew Bevel? Mit beinahe unheimlicher Präzision schafft er es jedenfalls, im richtigen Augenblick die richtigen Entscheidungen zu treffen, sicherlich, weil seine geliebte Ehefrau Helen – wenn sie denn nicht Mildred hieß – ihm zu Hause so eine unentbehrliche Stütze ist. Eventuell hat sie ein eigenes Leben. Vielleicht sogar Ahnung von Finanzen, vielleicht sind das nur Gerüchte. Jedenfalls wird nicht nur an der Börse spekuliert, auch das Leben des besagten Ehepaars interessiert die New Yorker Society ungemein. Die Idee, die eigene Biographie schreiben zu lassen, kommt dem Finanzmagnaten zunächst noch exzellent vor, aber schnell muss er feststellen: Nicht jede*r erzählt seine Geschichte so, wie er es gerne hätte…

Mit „Treue“ hat Hernan Diaz nicht nur meiner Meinung nach etwas ganz besonderes geschaffen. Wie bei einer Matroschka arbeitet man sich Hülle für Hülle weiter vor zu etwas, das vielleicht die Wahrheit ist, und wird gleichzeitig belohnt mit einem für jeden Abschnitt treffend ausgewählten Sprachstil, während fast wie nebenbei alles in Frage gestellt wird, was wir über Deutungshoheit, Macht und Geld zu glauben meinen. Ein übermäßiges Interesse an Finanzen oder Börse braucht man dabei nicht; hat man aber Freude daran, wenn sich ein*e Autor*in auch über die Struktur des Textes Gedanken macht, ist „Treue“ wärmstens zu empfehlen.

(Sarah Kranz)

Informationen:
  • Stand: Juni 2023
  • Hanser Verlag – gebunden – 416 Seiten
  • Preis: 27,- €
  • ISBN: 978-3-446-27375-7
  • aus dem Englischen übersetzt von Hannes Meyer
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand