Über die See

Ein Roman von Mariette Navarro

Mariette Navarro wurde 1980 in Lyon geboren, wo sie dann Literaturwissenschaften und Theater studierte. Sie arbeitet als Lyrikerin und freischaffende Dramaturgin und schreibt auch eigene Stücke. Im Jahr 2012 war Navarro als ‚Writer in Residence‘ zu einer achttägigen Fahrt mit einem Frachtschiff von St.Nazaire nach Pointe-à-Pitre auf den Antillen eingeladen. Als sie den erlebten Stoff nicht in eine Dramenform bringen konnte, schrieb sie schließlich ihren Debütroman Ultramarins. Der Roman heisst auf deutsch „Über die See“ und ist eine Art eine poetische Reflexion über Wahrnehmung und Existenz.

Das Buch handelt von einer Kapitänin, einer guten erfahrenen Kapitänin, deren Vater bereits zur See fuhr, die mit dem Wasser verbunden ist. Eine Frau, die weiß, was sie tut, obwohl es ihr in diesem Beruf nicht immer leicht gemacht wurde. hat sie sich ihr Ansehen erkämpft und wird allseits geschätzt. Diese Kapitänin ist nun auf ihrem Containerschiff mit Kurs auf die Tropen unterwegs. Sie hat gerade die Azoren hinter sich gelassen, als ihre Mannschaft mitten im weiten blauen Nichts den ungewöhnlichen Wunsch äußert, im Meer schwimmen zu gehen. Die Kapitänin gibt (entgegen aller Sicherheitsbestimmungen) nach und ach, ab da wurde es mir schon allein vom Lesen ganz blümerant.

Das Gefühl viele Kilometer Wasser unter sich zu haben, schwappte sehr deutlich aus den Seiten und sorgt, auch mit all dem was danach geschieht oder nicht geschieht, für äußerst aufregende Gefühle beim Lesen. Die 25 Minuten, die die Seeleute im Wasser verbringen, bilden das Herzstück des Romans. Navarro schildert unglaublich stark und poetisch, wie die Männer zuerst fröhlich paddeln und das Wasser genießen, doch nach und nach immer mehr an Gewissheit verlieren. Die Kraft des Wassers, der Wellen und die Lautstärke des Windes sind viel anstrengender als erwartet. Das Rettungsboot scheint abzutreiben, die anderen Männer verschwinden hinter den Wellenbergen. Oben und unten verschwimmen. Anhand der vergehenden Minuten beschreibt Navarro den zunehmenden Kontrollverlust der Männer und man spürt, wie unbedeutend sie sich im Eintauchen in die See fühlen.

Das Buch hatte mich wirklich von der ersten Seite an. Die Autorin spielt auf eine faszinierende Weise mit den Wahrnehmungen und Empfindungen, sowohl der Kapitänin, denn das Alleinsein auf dem riesigen Schiff macht auch etwas mit ihr und denen ihrer Mannschaft (denn wieviele Männer waren da nochmal ins Wasser gesprungen? Und wieviele kamen zurück aufs Schiff?), als auch mit denen der Leser*innen. Nicht wieder richtig anspringende Motoren, unbehaglicher Nebel und die kreisenden Gedanken der Kapitänin tun ihr Übriges zu dieser atmosphärischen Geschichte. Sprachlich erfreulich, voller poetischer Bilder – man merkt auf jeder Seite, dass die Autorin von Haus aus Lyrikerin ist – und insgesamt ein spannendes, eindringliches Buch für alle, die gerne schmale Bücher mit starker Wirkung lesen. Was so genau alles passiert oder eben nicht passiert, müssen Sie selbst lesen und ich kann nur sagen, es lohnt sich.

Leseprobe

(Katja Cebulla)

Informationen:
  • Stand: November 2022
  • Kunstmann – gebunden – 160 Seiten
  • Preis: 20,- €
  • ISBN: 978-3-95614-510-0
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand