Unsereins

Ein Roman von Inger-Maria Mahlke

Inger-Maria Mahlke wurde 1977 geboren und wuchs in Lübeck und auf Teneriffa auf, sie studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin und arbeitete dort am Lehrstuhl für Kriminologie. Sie hat bereits vier Bücher geschrieben. Ihr Roman „Wie Ihr wollt“ gelangte unter anderem auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, den sie 2018 für den Roman „Archipel“ dann erhielt.

Das neue Buch heisst „Unsereins“ und ist ein historischer Familienroman. Er spielt von 1890 bis 1906 im „kleinsten Staat des deutschen Kaiserreichs“, einer Hansestadt im Norden heisst es, gemeint ist Lübeck. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die angesehene, protestantische Familie Lindhorst, der Vater Friedrich, Rechtsanwalt und späterer Senator, seine Frau Marie, die Tochter des „größten Dichters aller Zeiten“ und ihre acht Kinder, sowie Friedrichs Bruder Achim, die befreundete Familie Schilling und ihre Abkömmlinge, plus diverse Hausangestellte, allen voran Lindhorsts „Mädchen“ Ida.
Auch Georg, externer Schüler der „Anstalt“, Isenhagen, Ratsdiener, und Charlie Helms, Lohndiener, spielen keine geringe Rolle und weisen immer wieder deutlich auf Klassenunterschiede hin, aber auch darauf, dass sich das Unglück durch alle Schichten zieht und ein sozialer Abstieg oft schleichend, gelegentlich aber auch schlagartig droht und auch Aufstieg keinesfalls ausgeschlossen sind.

Das Buch spielt mit den eingerosteten gesellschaftlichen Vorgaben und öffnet hin und wieder kleine Fluchträume für die Beteiligten. Die einzelnen Kapitel wenden sich abwechselnd den verschiedenen Figuren zu und erzählen exakt und bildhaft die Belange der verschiedenen Klassen, wobei es einen leichten Fokus auf die damalige Situation der Frauen legt. Mahlke ist die Königin der grandiosen Beschreibungen, manche Textstellen wirken wie Stillleben, so dicht zoomt sie an ihre Figuren heran. Muster, Stoffe, die Beschaffenheit der Haut und jede kleinste Fliege werden beschrieben, so dass den Lesenden die damalige Zeit deutlich vor Augen steht, faszinierend.
Die Gesellschaft der Jahrhundertwende wird absolut brillant gezeichnet. Politische Sorgen der Stadt, wie dass der Nordostseekanal nicht nach Lübeck führen wird, wovon der Senat doch ausgegangen war, sowie das Wachsen der Sozialdemokratie, aber auch Privates wie finanzielle Nöte oder Krankheiten oder so kleine Dinge wie Georgs Versuch, sich mit Otto zu anzuefreunden, der aber von Tomy „besessen“ ist, werden gleichermaßen großartig beschrieben. Ach, dieser Tomy ist übrigens ist ein später recht bekannter Sohn der Stadt, der einen Roman schreiben wird, indem halb Lübeck vorkommt und versucht sich wieder zu erkennen. Thomas Mann kommt selbst im Roman vor, aber nur mit einer Nebenrolle – die Buddenbrooks spielen allerdings schon eine gewisse Rolle.

Inger-Maria Mahlke ist ja in Lübeck aufgewachsen und erlebte den Roman Thomas Manns als übermächtig während ihrer Schulzeit, daher wollte sie ein anderen Blick auf die damalige Gesellschaft werfen. Die Hagenströms, die Gegenspieler der Buddenbrooks, interessierten sie und die Angehörigen der unteren Klassen. Dafür hat sie viel in Briefen und Knigge für Höherstehende als auch für Hausangestellte recherchiert und ist dabei auch auf sonderbare Haushaltstipps wie z.B. Sauerkraut zum Teppichreinigen gestoßen.
Viele Personen haben einen historischen Hintergrund, sie benennt die meisten aber um,
wobei man versuchen kann, dem auf die Spur zu kommen.

Solche Spielereinen machen Spaß und überhaupt, wer Lübeck ein bisschen kennt, wird das Buch mit Sicherheit mögen. Es hat eine besondere leicht melancholische Stimmung, die vor den Kulissen der Stadt sehr wirkmächtig ist.
Ich habe es unglaublich gerne gelesen und hoffe, Sie werden das auch tun.

(Katja Cebulla)

Informationen:
  • Stand: November 2023
  • Rowohlt Verlag – gebunden – 496 Seiten
  • Preis: 26,- €
  • ISBN: 978-3-498-00181-0
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand