Welten auseinander

Ein Roman von Julia Franck

Julia Franck hat sich in ihren Werken immer wieder an ihrer eigenen Biographie abgearbeitet und einzelne Elemente verwendet. In ihrem neuen Buch „Welten auseinander“ geht es nun aber vollständig um sie selbst, um ihr eigenes Leben und Erleben, ihr Aufwachsen in einer Familie, die wirklich allerlei Interssantes, aber kaum ein liebevolles Umfeld für ein Kind bietet und schon gar nicht für vier. Julia Franck wird 1970 in Ostberlin geboren, ihre Großmutter Ingeborg Hunzinger ist eine bekannte Bildhauerin und ihre Mutter Anna Franck Schauspielerin. Als sie acht ist, wird dem wiederholt gestellten Ausreiseantrag der Mutter endlich stattgegeben und die Familie kommt zunächst in ein Auffanglager in Marienfelde und zieht später, „als Sozialfall“, wie sie schreibt, nach Schacht-Audorf, ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein. Julias Mutter ist eine extrem exzentrische Person, die schon mal nackt durch Haus und Garten läuft oder tagelang im Stall schläft, weil ein Schwein Ferkel bekommen hat, ihre vier Töchter (Julia hat eine große und eine kleine, sowie eine Zwillingsschwester) aber weitgehend sich selbst überlässt. Die Lebensumstände, in denen Julia groß wird sind wirklich alles andere als erbaulich, sie schämt sich vor Lehrern und Besuchern und wünscht sich immerzu, die Familie verlassen zu können, da sie die Unordnung und das Chaos, aber vor allem die mangelnde Fürsorge und Zugehörigkeit nicht mehr erträgt.

Mit 13 ist es dann tatsächlich soweit, Julia kann die Familie verlassen, als ein befreundetes Berliner Paar bereit ist, sie aufzunehmen. Nun finanziert sie ihr Leben mit Nebenjobs und wandert nicht selten vom Tresen, wo sie kellnert direkt an die Schulbank, wo sie 1991 ihr Abitur macht. Sie erzählt davon, wie sie dann doch irgendwann ihren Vater kennenlernt und Stephan, ihre große Liebe und davon, dass sie eigentlich schon immer schreibt, sie füllt bändeweise Tagebücher, da das in ihrer Familie der einzige Weg war, mit sich selbst und in Ruhe zu sein. Immer wieder beruft sie sich in dem Buch auf ihr Tagebuch und erzählt von „dem Mädchen“, das sie einst war. Und es weist in die Richtung der Frau, die sie sein wird. Es ist eine immer wieder erschütternde, aber unglaublich gut geschriebene Geschichte zwischen Ost und West, voller Scham und Trauer, die mich durch ihren Mut und ihre Lebendigkeit tief beeindruckt hat! Julia Franck ist eine große Schriftstellerin!

„Lese ich heute meine Tagebücher aus der Zeit, staune ich, wie häufig das Mädchen den Tod erwähnt, vor dem es schon als Zwölfjährige offenbar keinerlei Angst hat. Das Mädchen wird Zeugin seiner Welt, es gewinnt Abstand mit dem Schreiben, es lernt genau hinzusehen. Aus den Salven der anderen möchte es weglaufen, sie nicht hören und erleben.“

(Katja Cebulla)

Leseprobe

Informationen:
  • Stand: November 2021
  • Fischer Verlag – gebunden – 368 Seiten
  • Preis: 23,- €
  • ISBN: 978-3-10-002438-1
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand