Wir hätten uns alles gesagt

Ein Roman von Judith Hermann

Judith Hermanns wunderbare Bücher begleiten uns ja bereits seit vielen Jahren – tatsächlich feiert ihr erfolgreiches Debüt „Sommerhaus, später“ in diesem Jahr schon seinen 25. Geburtstag. Ich weiß noch, wie aufgeregt damals alle waren, über diese „neue Stimme einer Generation“. Dann folgten mehrere Erzählbände und zwei Romane und nun schenkt uns Judith Hermann etwas Neues. Die Autorin, die für ihr Schweigen und Weglassen berühmt ist, für Texte, die nie ganz entschlüsselt werden können, lüftet den Schleier und beginnt zu erzählen und zwar von sich selbst.

Ihr neues Buch „Wir hätten uns alles gesagt“ enthält Judith Hermanns Frankfurter Poetikvorlesungen, in denen die Autorin tatsächlich sehr persönlich von ihrem Leben und Schreiben erzählt. Von ihrer Kindheit, über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen im geteilten Berlin (der Vater schwankte zwischen Depression und Wutanfällen, Geld war kaum da, über eventuelle Nazivergangenheiten wurde geschwiegen, es wurde überhaupt viel geschwiegen, sodass Judith sich eine Wahlfamilie aus Freundschaften suchte, die sich in besagtem Sommerhaus traf) bis hin zu ihrer jahrelangen Psychoanalyse gibt dieses Buch wahnsinnig interessante Einblicke in das Leben der Autorin und ist dabei immer wieder durchflochten von Hinweisen und Erläuterungen zu ihrer Art zu schreiben und all ihren wunderbaren Erzählungen und Romanen. Man ist mehrfach versucht, die betreffenden Bücher aus dem Regal zu ziehen und nochmal zu lesen. Und man könnte vielleicht sogar nachvollziehen wollen, was tatsächlich an Autobiographischem in den älteren Büchern steckt. Es ist ein sehr besonderer, sehr ehrlicher Text in ihrem ganz eigenen Ton, der eigentlich gar nicht als Buch veröffentlicht werden sollte, was der Verlag sich aber natürlich zum Glück nicht entgehen lassen hat. Ein wunderbares Lesevergnügen für Judith Hermann Liebhaber*innen, aber natürlich auch für alle, die es werden wollen. Kann ich nur allen ans Herz legen.

(Katja Cebulla)

„In ‚Sommerhaus, später‘ habe ich geschrieben, Glück sei immer der Moment davor. Heute würde ich schreiben, Glück ist immer der Moment danach – der Moment, in dem du das vermeintliche Glück überstanden hast, mit heiler Haut davongekommen bist, Glück als solches erkannt und wieder verloren, losgelassen und verworfen hast.“

Hermann, Judith: Wir hätten uns alles gesagt. Fischer Verlag 2023, S.126
Informationen:
  • Stand: Juli 2023
  • S. Fischer Verlag – gebunden – 192 Seiten
  • Preis: 23,- €
  • ISBN: 978-3-10-397510-9
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