Der Apfelbaum
Wichtiger Hinweis: Lesung mit Christian Berkel am 16. März 2019 !!!
In „Der Apfelbaum“ erzählt der Schauspieler Christian Berkel, wie sich seine Eltern 1932 kennen- und liebenlernen. Was so kurz und banal klingt, ist in Wahrheit eine hochspannende und großartig erzählte Familiengeschichte, denn nicht nur die erste Begegnung ist ungewöhnlich, auch und vor allen Dingen: die familiäre Herkunft könnte unterschiedlicher nicht sein.
Otto ist siebzehn Jahre alt und wächst im tiefsten Berliner Proletariat auf. Aus dieser Arbeiterklasse versucht er immer wieder zu flüchten, doch vergebens. Bei einem Einbruch, wo Otto mehr als Mitläufer auftritt, trifft er auf Sala, die widerum bei ihrem intellektuellen „deutschen“ Vater aufwächst, deren Mutter jedoch Jüdin ist.
„Er stand Schmiere, als seine Kumpanen die schwere Holztür einer Beletage in Friedenau knackten. Von der Ecke aus hatte Otto beide Straßen im Blick. Sekundenschnell waren sie drin. Wie unbeteiligt hüpfte er hinterher und blieb erschrocken stehen. Diesmal versprach es ein großer Fischzug zu werden.“ (aus „Der Apfelbaum“)
Doch anstatt den jungen Mann zu verraten, hilft die dreizehnjährige Sala ihm sogar. Aus dieser Anfangssituation heraus entwickelt sich dann über Wochen und Monate eine besondere Liebe.
„Otto hatte die Mittagssonne im Rücken. Seine Silhouette zeichnete sich scharf vor der Straße ab. Ihr Körper spannte sich. Augen wanderten über ihr Gesicht, den Hals hinunter über die Brust, den Bauch, ihre Hüften, die Beine, bis in die Zehenspitzen fühlte sie ihn, und sie schämte sich nicht. Dieser Blick war weder abschätzend noch forschend, er stand vor ihr und sah sie einfach nur an. Noch nie hatte sie darüber nachgedacht, ob sie schön genug sei, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu erregen. Ihr Körper öffnete sich, ein Wiegen in den Hüften, Schwindel erfasste sie…“ (aus „Der Apfelbaum“)
Schnitt: Sala muß als Jüdin Schutz suchen und setzt sich 1938 nach Paris ab, wo sie bei ihrer Tante unterkommt, die für Hermés arbeitet. Doch dann marschieren deutsche Truppen in Frankreich ein und Sala muß wieder fliehen. Sie wird jedoch gefangengenommen und in ein Arbeitslager in den Pyrenäen deportiert. Von dort aus soll sie in ein anderes Lager verlegt werden, doch zum Glück gelingt er auf dieser Fahrt die nächste Flucht.
In dieser gesamten Zeit arbeitet Otto als Sanitätsarzt bei der Wehrmacht im Osten. Kurz vor Kriegsende gerät er in Gefangenschaft und kommt erst im Jahre 1950 zurück ins zerstörte Berlin. Sala hingegen schafft es nach dem Krieg bis nach Südamerika, wo sie aber kein neues Leben aufbauen kann und kehrt dann ohne Hoffnung und Träume nach Berlin zurück. Als sie Ottos Namen im Telefnbuch ausfindig macht, stellt sie sich die Frage, ob ein Wiedersehen nach zehn Jahren der Trenung Sinn macht…
„Irgendwann muss doch mal Schluss sein. In wie vielen Gesichtern steht stumm dieser Satz? Wie viele hat er ausgehöhlt und ihrer Möglichkeiten beraubt?“
Christian Berkel macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Eltern und Großeltern wichtig ist und keine Geschichte unerzählt bleiben darf. Zudem gelingt es Herrn Berkel sehr gut, aus der Fülle an Stoffen einen ganz eigenen erzählerischen Roman zu verfassen. In einem Interview erzählte er einmal, dass es nicht ganz einfach für ihn war, aus wahren Personen Romanfiguren zu machen und in eine Story einzubauen, die zu großen Teilen auf wahren Begebenheiten beruht.
Es gelingt ihm jedoch ganz wunderbar, dass der Leser sich im „Wirrwarr “ gut zurechtfindet und den einzelnen Protagonisten und den Erlebnissen prima folgen kann. Auch wenn er zeitliche Sprünge einbaut, wird es dem Leser nicht schwer gemacht, Sala und Otto auf ihrer abenteuerlichen Reise bis ans Ende zu folgen. Christian Berkel ist nicht nur ein toller Schauspieler, sondern auch ein ganz wunderbarer Geschichtenerzähler!
(Georg Schmitt)