Der Stich der Biene

Ein Roman von Paul Murray

Ich stelle jetzt einfach mal die Behauptung in den Raum, bei dieser Lesezeit (Frühjahr 2024) sowohl das dickste als auch das dünnste irische Buch des letzten Jahres vorstellen zu dürfen – ich habe den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nicht überprüft, aber die Chancen für das dickste dürften mit Paul Murray’s Booker Prize nominierten 700 Seiten Werk ganz gut stehen. Übersetzt hat diesen Roman, der sich so unscheinbar hinter dem Begriff „Familienroman“ versteckt, Wolfgang Müller.

Worum geht es nun: Tatsächlich um eine Familie, die Barnes, die in einem Dorf in Irland leben, einst recht wohlhabend waren, doch dank Finanzkrise und – darüber sind sich zunächst jedoch nicht alle ganz einig –fehlendem Geschäftssinn von Familienvater und Autohausbesitzer Dickie sind diese Zeiten nun vorbei. Oder lag es doch an seiner Ehefrau Imelda, die unfähig scheint, der omnipräsenten Werbung für teuren Schmuck, Kleider und Möbel zu widerstehen? So oder so bröckelt es, das schöne Familienleben.

Was folgt, ist eine Erzählung über die Zustände und die Entwicklungen, die zu ihnen führten, aus Perspektive der einzelnen Familienmitglieder. Schnell ist klar, dass sehr viel mehr hinter dem Niedergang der Familie Barnes stecken muss, und was zunächst oft komisch anmutet, wenn zum Beispiel Tochter Cass trotz ihrer fast 18 Jahre immer noch einen pubertär-dramatischen Blick auf alles hat und Vater Dickie mit einem Mal beschließt, man solle doch vielleicht eine Art Endzeit-Bunker bauen, wird mit jeder Seite zu einer immer tieferen und komplexeren und zum Teil auch schockierenden Geschichte, die deutlich macht, wie wenig man oft selbst über die Menschen weiß, die einem eigentlich nahstehen.

Ich war von Anfang an gepackt von der Geschichte, die Paul Murray hier entfaltet, und begann zwar nach zwei Dritteln zu ahnen, wo das Ganze noch hinführen könnte, was die Geschichte aber höchstens noch spannender gemacht hat – großartig und trotz des unglaublichen Umfangs dieses Romans eines meiner Lieblingsbücher.

(Sarah Kranz)

Informationen:
  • Stand: April 2024
  • Verlag Antje Kunstmann – Gebunden – 700 Seiten
  • Preis: 30,- €
  • ISBN: 978-3-95614-581-0
Bücherwurm der Buchhandlung am Sand